Thema Tagung 11/22

Rom ist pluralistisch in religiöser Hinsicht. Das ist einerseits eine banale Aussage, lässt sich das doch von
allen größeren europäischen Städten sagen. Andererseits liegt sie nicht unbedingt auf der Hand,
gewann Rom diesen Charakter doch erst relativ spät und in einer relativ kurzen Zeitspanne.
Tatsächlich wird die Stadt häufiger aus einer katholischen Perspektive und mit Blick auf die
Säkularisierung als unter dem Aspekt des religiösen Pluralismus wahrgenommen.
Der Zeitraum, in dem der Pluralismus Gestalt annahm, lässt sich genau bestimmen: mit dem Fall des
Kirchenstaates in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis zur faschistischen Machtergreifung
(1870-1922). Klares Indiz dafür sind die in wenigen Jahrzehnten errichteten Gebäude, eine Synagoge
und zahlreiche Kirchen, welche die Anglikaner und die Waldenser, die Methodisten und Lutheraner, die
Reformierten und Baptisten bauten. Auf der Tagung soll dieses Phänomen aus einer vergleichenden
transnationalen Perspektive erörtert werden. Der transnationale Aspekt ist deshalb so wichtig, weil für
zahlreiche religiöse Gemeinschaften die Integration in die städtische Gesellschaft von neuen Prozessen
der Aushandlung konfessioneller und nationaler Identität begleitet wurde.
Die Geschichtsschreibung ist bis heute von Perspektiven geprägt, die sich auf die innere Entwicklung
bestimmter Kongregationen und konfessioneller Identitäten (Gemeindejahrestage usw.) richten. Mit
einem vergleichenden Blick lassen sich hingegen die strukturellen Implikationen der gleichsam ins 20.
Jahrhundert katapultierten städtischen Gesellschaft erhellen.
Im Jahr 2022 jähren sich die Einweihung der lutherischen Kirche in der Via Sicilia und die Einrichtung der
theologischen Waldenserfakultät in Rom zum hundersten Mal. Diese Jahrestage bilden aber eher den
Anlass als den Inhalt der Tagung. Die Kriterien, welche die Auswahl der Referenten bestimmten,
orientierten sich weniger an ihrem Weltbild und ihrer religiösen Identität (emische oder ethische
Perspektive), sondern an ihrer Absicht, das Thema wissenschaftlich anzugehen.